Umweltpanorama Heft 13 (August 2006) zur Liste | home

Transgene Tiere in der biomedizinischen Forschung

Perspektiven für die Umstellung der Forschung auf tierversuchsfreie Verfahren

Der offiziellen deutschen Versuchstierstatistik zufolge (siehe Tabelle) steigt seit dem Jahr 2000 die Anzahl der transgenen, also gentechnisch veränderten Tiere von Jahr zu Jahr deutlich an. Als Ursache hierfür wird die biomedizinische Forschung angeführt, mit der ein hoher Tierverbrauch einhergeht.

  2000 2001 2002 2003
Mäuse 149 859
975 885
200 776
1 024 413
218 072
1 151 053
244 588
1 180 355
Ratten 2 937
486 432
2 785
512 393
3 276
519 575
7 471
501 228
Hamster 0
7 523
12
8 562
0
12 052
0
10 142
Kaninchen 63
112 249
69
117 890
0
133 446
2
104 418
Schweine 15
12 245
38
11 661
96
15 761
42
12 250
Schafe 0
3 032
5
2 308
0
2 470
0
2 968
Amphibien 0
14 331
664
15 102
4
25 507
6
19 342
Fische 4 002
108 243
37
303 590
764
201 604
2 046
137 680
Gesamt 156 876
1 825 215
204 386
2 126 561
222 212
2 212 376
254 155
2 112 341

Anzahl der in den Jahren 2000 bis 2003 verwendeten transgenen Tiere, aufgeschlüsselt nach Tierart, im Vergleich zur Gesamtzahl (kursiv) verwendeter Versuchstiere (Quelle: Versuchstierstatistik BMVEL)

Nach der gesetzlichen Definition im deutschen Gentechnikgesetz (GenTG) von 1993 wird transgenen Tieren das Erbgut in einer Weise verändert, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen nicht vorkommen kann. Die Herstellung transgener Tiere und deren Weiterzucht bis zur dritten Generation gilt als genehmigungspflichtiger Tierversuch.

Um einen Überblick über die Ziele und Inhalte von Forschungsvorhaben in Deutschland zu gewinnen, für welche transgene Tiere hergestellt werden oder in experimentellen Verfahren zum Einsatz kommen, wurde für die vorliegende Studie eine aufwendige Literaturrecherche ausgewertet. Gleichzeitig wurde überprüft, ob die aufgedeckten Forschungsziele auch mit tierversuchsfreien Verfahren verfolgt werden könnten.

Die Studie

Für die Literaturstudie wurden 577 Publikationen aus Fachzeitschriften der Jahrgänge 2001 bis 2003 erfasst, in denen transgene Tiere zum Einsatz kommen. Dieses Material ermöglicht eine Aussage über Forschungsgebiete die der Wissensvermehrung dienen, also aus der Grundlagenforschung, nicht aber über deren routinemäßige Verwendung. In letzterem Zusammenhang ist insbesondere der Einsatz transgener Tiere als so genannte Bioreaktoren zu nennen, also von Tieren, die aufgrund ihrer gentechnologischen Veränderung pharmazeutische Stoffe in Blut oder Milch ausscheiden. Derartige Verwendungszwecke, oder auch die Aufrechterhaltung transgener Zuchtlinien, sind in der Regel nicht Gegenstand von Fachpublikationen.

Da in der offiziellen deutschen Versuchstierstatistik nur die Versuchstiere erfasst werden, die tatsächlich in wissenschaftlichen Versuchen eingesetzt werden, dürfte die Gesamtzahl jährlich erzeugter transgener Tiere deutlich höher liegen, als aus den offiziellen Angaben hervorgeht. So waren gemäss der offiziellen britischen Versuchstierstatistik im Jahre 1997 etwa 40 Prozent der erfassten transgenen Tiere in wissenschaftlichen Versuchen eingesetzt worden, während die übrigen 60 Prozent als „Zuchtbestand“ zur Erhaltung gentechnisch veränderter Tierlinien erzeugt wurden. Da sich die Verfahren zur Herstellung transgener Tiere und die hierfür eingesetzten Tierarten europaweit nicht signifikant unterscheiden, müssen entsprechende Zahlenverhältnisse auch für die Anzahl der insgesamt in Deutschland hergestellten transgenen Tiere angenommen werden.

Hinsichtlich des Herstellungsverfahrens transgener Tiere wurden in dieser Studie nicht nur die Arbeiten berücksichtigt, bei denen den Tieren experimentell Erbgut in das Keimzellgenom eingebracht worden war, sondern auch solche Tiere, denen nach der Geburt transgene Zellen in bestimmtes Gewebe injiziert wurde. Weiterhin wurden Verfahren berücksichtigt, die nach der Definition des deutschen Tierschutzgesetzes (TSchG) nicht als Tierversuche zu werten sind. Also Forschungsvorhaben, in denen transgenen Tieren Zellen, Gewebe oder Organe entnommen und diese in vitro (wörtlich „im Reagenzglas“) für experimentelle Zwecke weiterverwendet wurden. Neben Zellkulturen wären das beispielsweise Hirnschnitte, Herzvorhöfe oder vollständig isolierte Herzen der transgenen Tiere.

Übereinstimmend mit der offiziellen Versuchstierstatistik waren auch nach den vorliegenden Ergebnissen aus der Literaturrecherche mit 87,4 Prozent am meisten transgene Mäuse verwendet worden. Transgene Ratten tauchten mit 10,3 Prozent am zweithäufigsten auf, gefolgt von transgenen Schweinen, die mit 1,2 Prozent fast ausschließlich als Organspendetiere im Rahmen der Xenotransplantationsforschung hergestellt und gezüchtet werden (siehe unten). Mit unter einem Prozent fanden sich in den Publikationen weiterhin Fische, Hamster, Kaninchen, Schafe und Amphibien, allesamt gentechnisch hergestellt.

Der überwiegende Teil der Forschungsvorhaben behandelte den unmittelbaren experimentellen Einsatz bereits etablierter transgener Tiere (70,4 Prozent), oder es wurde dargelegt, dass transgene Tiere gezielt für das betreffende Forschungsvorhaben hergestellt und anschließend experimentell verwendet wurden (23,2 Prozent). In den verbleibenden 6,4 Prozent der Publikationen wurden Tierversuche zur Weiterentwicklung von Methoden zur Herstellung transgener Tiere beschrieben oder wurde über die Herstellung einer neuen transgenen Tierlinie berichtet.

Forschungsgebiete

Anteilige Zuordnung aller transgenen Versuchstiere zu biomedizinischen Forschungsgebieten (Sonstige = Endokrinologie, Hepatologie, Nephrologie, Dermatologie, Diabetologie, Gastroenterologie, Hämatologie, Ophthalmologie, Orthopädie, Transplantationsmedizin, Zellbiologie)

Die Forschungsgebiete, denen die erfassten Publikationen zugeordnet werden konnten, deckten den gesamten Bereich der Grundlagenforschung ab. Mit über einem Viertel der Publikationen war das Fachgebiet Neurologie der Forschungsschwerpunkt, zu denen die meisten Fachartikel erfasst wurden, gefolgt von Immunologie, Kardiologie, Embryologie/ Reproduktionsmedizin, Onkologie und Methodiken zur Herstellung transgener Tiere (siehe nebenstehendes Diagramm).

Tierschutzgesetz

Transgene Tiere werden in der Regel in Tierversuchen eingesetzt, um Genfunktionen und deren Regulierungen oder den Beitrag, den genetische Veränderungen zur Entstehung von Krankheiten leisten können, zu untersuchen. Nach dem Tierschutzgesetz dürfen Wirbeltiere, seien es konventionell gezüchtete oder gentechnisch veränderte, nur dann in Tierversuchen verwendet werden, „wenn die zu erwartenden Schmerzen, Leiden oder Schäden der Versuchstiere im Hinblick auf den Versuchszweck ethisch vertretbar sind“, also der erwartete Nutzen der Versuche gewichtiger erscheint als die Belastung, die den Versuchstieren zugefügt wird. Für diese Entscheidung „ist insbesondere der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann“. Zudem dürfen Tierversuche, „die zu länger anhaltenden oder sich wiederholenden erheblichen Schmerzen oder Leiden führen“, nur durchgeführt werden, wenn die angestrebten Ergebnisse voraussichtlich „von hervorragender Bedeutung“ sein werden.

Aus den angeführten Regulierungen des Tierschutzgesetzes folgen direkt zwei Fragen, denen nachfolgend nachgegangen werden soll: Die Fragen nach der Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit der Tierversuche sowie nach tierversuchsfreien Verfahren, die dem Tierversuch ebenbürtig oder möglicherweise sogar überlegen sein könnten.

Zur ethischen Vertretbarkeit

Nicht nur die Herstellung und experimentelle Verwendung transgener Tiere, sondern auch die Zucht etablierter transgener Tierlinien ist mit tierschutzrelevanten Aspekten verbunden. Besonders berücksichtigt werden müssen zusätzliche Belastungen, welchen die transgenen Tiere – unabhängig von Versuchsdurchführung oder Haltung – allein schon aufgrund der Konsequenzen der gentechnischen Veränderung ihres Erbgutes – über ihre gesamte Lebensdauer hinweg – ausgesetzt sein können. Beispielsweise gentechnisch erzeugte Mutanten mit schwerwiegenden klinisch manifesten Krankheiten oder Störungen, wie „knock out“ Mäuse mit massiven Ausfallerscheinungen oder gentechnisch manipulierte Mäusestämme mit Onkogenen (Gene, die die Entstehung von Krebs begünstigen). Eine große Zahl von Versuchen mit transgenen Tieren müssen als erheblich belastend eingestuft werden und sind daher nach den Maßgaben des Tierschutzgesetzes nur dann ethisch zu rechtfertigen, wenn ihre Ergebnisse wissenschaftlich „von hervorragender Bedeutung“ sind.

Die Belastung transgener Tiere

Grundsätzlich lässt sich hinterfragen, ob der experimentelle Einsatz transgener Tiere im Endeffekt tatsächlich zu Erkenntnissen führt, die von solch hervorragender wissenschaftlicher Bedeutung sind, dass sie das Leiden der Versuchstiere rechtfertigen. Derzeit müssen Wissenschaftler in ihren Genehmigungsanträgen den voraussichtlichen Nutzen angeben, den das von ihnen geplante Tierexperiment für den Menschen haben könnte. Nur gibt es bedauerlicherweise weder offizielle Maßstäbe noch anderweitig abgefasste Anleitungen zur objektiven oder gar retrospektive Ermittlung des wissenschaftlichen Nutzens eines Tierversuches.

Zur Einschätzung der ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen haben Scharmann und Teutsch im Jahre 1994 ein Abwägungsschema vorgelegt, das aus zwei Checklisten besteht, einerseits für die Bewertung des Nutzens der Versuche und andererseits für die Bewertung der Belastung der Versuchstiere. Ihrer Ansicht nach ist der erwartete Nutzen eines Versuchsvorhabens umso geringer, in umso fernerer Zukunft er voraussichtlich eintreten wird. Dabei definieren sie Versuchsvorhaben, deren „Erfolg und benötigte Zeit“ nicht abzusehen sind, als Versuche mit geringem Nutzen, Versuchsvorhaben die eine „Chance“ haben, innerhalb eines Jahrzehnts zu einem Nutzen zu führen, als Versuche mit mittlerem Nutzen. Bei Versuchen mit hohem Nutzen sollte schließlich eine „gute Chance“ bestehen, dass sie innerhalb von fünf Jahren zu einem konkreten Nutzen führen werden.

Der Nutzen von Versuchen mit transgenen Tieren

In Einklang mit dieser Einstufung lassen die dargelegten Versuchsergebnisse der in der Studie erfassten Publikationen, von denen keine älter als fünf Jahre ist, vermuten, dass der Nachweis über deren wissenschaftlich hervorragende Bedeutung zum Teil schwer zu führen sein wird. Würden strenge Regeln dem Tierversuch auferlegt, käme in vielen Fällen eine Bewertung zu dem Schluss, dass transgene Tiermodelle nicht geeignet sind, um Krankheiten des Menschen umfassend darzustellen und wirksame Therapien zu entwickeln. Denn die gentechnische Veränderung im Erbgut der Tiere wirkt nicht nur für sich allein, sondern steht in Wechselwirkung mit dem gesamten genetischen Hintergrund. Da dieser bei Mensch und Tier unterschiedlich ist, gelingt es kaum, menschliche Erkrankungen in Tieren zu reproduzieren. Ein Gendefekt, der beim Menschen eine Krankheit auslöst, führt bei Tieren meist nicht zu den gleichen Symptomen. Viele Krankheiten, wie beispielsweise Krebs, sind außerdem nicht ausschließlich genetisch bedingt, sondern haben auch andere Ursachen.

Doch die Einschätzung der ethischen Vertretbarkeit seines Versuchsvorhabens nimmt der Wissenschaftler selbst vor; und dieser verfolgt ein klares Ziel: Der Antrag soll schließlich genehmigt werden – also muss er auch ethisch vertretbar sein. Es wäre verblüffend zu lesen, wenn ein Antragsteller behaupten würde, seine Versuche wären wissenschaftlich nötig, leider aber ethisch nicht zu rechtfertigen. Insofern dürften alle formell verlangten ethischen Abwägungen nicht fair sein, weil das Ergebnis der Abwägung von vorn herein feststeht. Bei retrospektiver Bewertung der Relevanz der Versuchsergebnisse lässt sich zeigen, dass die Belastungen von Versuchstieren durch Eingriffe von Wissenschaftlern häufig zu niedrig eingeschätzt und der erwartete Nutzen der Versuche meist zu optimistisch eingeschätzt wurde.

Doch auch wenn der Wissenschaftler in erster Instanz die ethische Vertretbarkeit seines Versuchsvorhabens bewertet, haben die für die Genehmigung der Anträge zuständigen Behörden seit Aufnahme des Staatsziel Tierschutz ins Grundgesetz im Sommer 2002 die Pflicht, diese nicht mehr nur formal zu prüfen, sondern insbesondere auch inhaltlich zu bewerten. Das ist nicht immer einfach, wie Scharmann und Teutsch zu bedenken geben, etwa wenn für die ethische Abwägung ein mittelmäßiger Nutzen einer mittelgradigen Belastung gegenübersteht.

Tierversuchsfreie Verfahren

Zur Überprüfung, ob in der genetischen und gentechnologischen Forschung auf Untersuchungen mit transgenen Tieren verzichtet werden könnte, wurde in einer weiteren Recherche der Frage nachgegangen, ob es tierversuchsfreie Verfahren gibt, mit denen die entsprechenden wissenschaftlichen Fragestellungen beantwortet werden könnten. Das Ergebnis dieser Recherche brachte insbesondere tierversuchsfreie Verfahren zum Vorschein, die sich gentechnischer Techniken bedienen. Da auch transgene Tiere in der Regel ohnehin zunächst in vitro hergestellt werden, gibt es vielfältige Methoden zur Herstellung transgener Zellen.

Auf zellulärer Ebene lassen sich die Auswirkungen von Veränderungen des Genoms untersuchen, wenn Zellen in vitro genetisch verändert werden und anschließend untersucht wird, welche Auswirkungen dies auf den zellulären Stoffwechsel hat. Hierzu gehören in vitro Untersuchungen, bei denen mittels RNA-Interferenz oder durch Einsatz von so genannten Antisense-Oligonucleotiden Gene gezielt an- und ausgeschaltet werden können. Oder die Weiterentwicklung eines Zellkulturverfahrens mit gentechnisch veränderten Zellen, wie der so genannte Transfected Cell Array (TCA). Derartige Verfahren lassen sich auch in Zellkulturen mit menschlichen Zellen einsetzen, so dass sich damit unmittelbar Erkenntnisse über die Funktion des menschlichen Körpers gewinnen lassen.

Beispiel: In vitro RNA-Interferenz

Im Zuge der Transkription der DNS wird die so genannte Boten-RNS (mRNS = messenger-RNS) gebildet, die quasi ein Spiegelbild eines DNS-Abschnittes mit einer bestimmten Nukleotid-Sequenz darstellt. Die mRNS wandert anschließend vom Erbgut, das sich im Kern der Zelle befindet, zu den Zellbestandteilen, die für die Bildung der Eiweißstoffe verantwortlich sind (Ribosomen). Dort werden im Zuge der so genannten Translation durch Ablesen der mRNS Eiweißstoffe gebildet.

Während die in der DNS enthaltene Erbinformation als „Doppelstrang“ aufgebaut ist, ist die mRNS grundsätzlich ein einsträngiges Gebilde. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass künstlich in die Zelle eingebrachte doppelsträngige RNS (dsRNS) die Expression des zugehörigen Gens verhindern können, da sie die Zerstörung der mRNS veranlassen, die dieselbe Nukleotid-Sequenz aufweisen. Dies führt dazu, dass der entsprechende Eiweißstoff, dessen Bildungsmuster das zugehörige Gen verschlüsselt hat, nicht gebildet werden kann. Dieser Vorgang wird RNS-Interferenz genannt.

Unter tierschutzrelevanten Aspekten hat die neue Methode den entscheidenden Vorteil, dass für funktionelle Analysen zur Funktion eines Gens keine „knock out“ Mäuse erzeugt werden müssen, sondern dass durch die neue Technik diese Untersuchungen nun an Kulturen menschlicher Zellen durchgeführt werden können und für beliebige Gene möglich ist. Erfreulich ist auch, dass zurzeit Projekte zur Weiterentwicklung des Transfected Cell Array sowie von RNS-Interferenz-Verfahren staatlich gefördert werden und dabei deren Entwicklung als effiziente Methoden für funktionelle Genanalysen in primären Zellen als Alternative zum Tierversuch zum Ziel haben.

Tierversuch oder Zellkultur

Wie schon angedeutet, dürfen Tierversuche den Maßgaben des Tierschutzgesetzes entsprechend nur durchgeführt werden, wenn sie nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unerlässlich sind. Zur Bewertung der Unerlässlichkeit von Versuchsvorhaben darf deshalb nicht nur überprüft werden, ob es einen Ersatz für die vom Wissenschaftler gewählte Methode gibt. Es sollte auch die finale Unerlässlichkeit hinterfragt werden, das heißt ob die vom Wissenschaftler gewählte Methode geeignet erscheint, das verfolgte Forschungsziel zu erreichen.

Das Pauschalargument, dass ein bestimmter Sachverhalt aufgrund seiner Komplexität nur an einem lebenden Tier untersucht werden könne, kann auf dem heutigen Niveau der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht mehr als Rechtfertigung für die kontinuierliche Verwendung leidensfähiger Wirbeltiere gelten. Alleine schon aus dem oben erwähnten Grunde, dass die gentechnische Veränderung im Erbgut der Tiere nicht nur für sich allein wirkt, sondern in Wechselwirkung mit dem gesamten genetischen Hintergrund steht.

Aus Sicht des Tierschutzes ist es möglich, die biomedizinische Forschung so umzugestalten, dass sie auf transgene Tiere verzichten kann, ohne dadurch den notwendigen wissenschaftlichen Fortschritt zu behindern.

Denn bisher sind die Fragen, denen unter Herstellung und Verwendung transgener Tiere nachgegangen wird, speziell auf die Methode Tierversuch zugeschnitten. Dabei ist anzumerken, dass nie überprüft wurde, ob diese Fragen tatsächlich geeignet sind, die anstehenden medizinischen Probleme zielführend zu lösen. Selbst wenn sich die eine oder andere – auf die Methode Tierversuch bezogene – Frage vorübergehend nicht beantworten ließe, würde eine Forschung, die sich an moderne ethisch vertretbare in vitro Verfahren orientiert, ihre eigene Fragen zur Lösung der anstehenden biomedizinischen Probleme stellen.


Dr. Ursula G. Sauer
Akademie für Tierschutz
Neubiberg


Anmerkungen

Der hier abgedruckte Beitrag ist eine Kurzfassung einer umfangreichen Studie, die anderweitig veröffentlicht ist. Details zur Studie, zur Herstellung transgener Tiere oder Zellkulturen, zur statistischen Erfassung transgener Tiere oder zu den ausgewerteten Forschungsstudien können dort (ALTEX-Archiv) nachgelesen werden.
U. Sauer, R. Kolar, B. Rusche, Die Verwendung transgener Tiere in der biomedizinischen Forschung in Deutschland.
Teil 1: Sachstandsbericht 2001-2003, ALTEX – Alternativen zu Tierexperimenten 22/4 (2005) Seiten 233-257
und
Teil 2: Ethische Bewertung der Verwendung transgener Tiere in der biomedizinischen Forschung und Perspektiven für die Umstellung der Forschung auf tierversuchsfreie Verfahren, ALTEX – Alternativen zu Tierexperimenten 23/1 (2006) Seiten 3-16

Transgene Schweine für die Xenotransplantationsforschung

Einen besonderen Aspekt in der Forschung mit transgenen Tieren stellt die Xenotransplantation dar, die das Ziel verfolgt, tierische Organe, Gewebe oder Zellen auf den Menschen zu übertragen. Als mögliche Organspendetiere gelten insbesondere Schweine, die gentechnisch so verändert werden sollen, dass der menschliche Körper ihre Organe im günstigsten Falle nicht mehr als artfremd erkennt. Würde einem Menschen ein Herz, eine Niere oder eine Leber eines normalen Hausschweins übertragen, würde dieser innerhalb von Minuten an einer heftigen „hyperakuten“ Abstoßungsreaktion sterben, bei der das fremde Organ gleichsam zerfressen wird. Denn jeder Organismus wehrt sich gegen artfremdes Gewebe.

Schweine wurden aus verschiedenen Gründen als Spender ausgewählt: Zum einen ähneln ihre Organe von der Größe und der Physiologie her noch am ehesten denen des Menschen. Zum anderen erhofft man sich, dass das Infektionsrisiko für den Menschen bei Verwendung von Organen dieser Tierart noch vergleichsweise niedrig sein wird und dass die ethischen Bedenken gegen den Einsatz von Schweinen geringer sein werden, als wenn Primaten verwendet würden.

Damit Tiere theoretisch als Organspender fungieren können, müssen sie mit Hilfe der Gentechnik soweit „vermenschlicht“ werden, dass die menschliche Körperabwehr die artfremde Herkunft des Organs nicht erkennt. In der Xenotransplantationsforschung werden daher den gentechnisch veränderten Schweinen Organe entnommen, um dieses dann anderen Tieren, meist Altweltaffen, wie Makaken oder Pavianen, als Stellvertreter für den Menschen einzupflanzen.

In den 1990er Jahren ist es nach und nach gelungen, transgene Schweine mit artfremden Faktoren auszustatten. Die entsprechend gentechnisch veränderten Schweineherzen wurden auf Paviane übertragen, die damit bis zu 23 Tage überlebten. Ohne genetische Manipulation liegt die Überlebenszeit bei etwa 90 Minuten. Die dargelegten Befunde ließen sich damals als medizinische Beherrschbarkeit der hyperakute Abstoßungsreaktion interpretieren, doch heute gilt dies noch lange nicht für die akuten und chronischen Abstoßungsreaktionen. Weitere noch offene wissenschaftliche Fragen betreffen die Probleme der Infektionsrisiken infolge einer Xenotransplantation sowie die Probleme der physiologischen Funktionstüchtigkeit der artfremden Organe. Wenn die Versuchsaffen die hyperakute Abstoßungsphase überleben, treten in der Regel über kurz oder lang schwere Nebenwirkungen der Immunsuppressiva (Medikamente, die die Funktion des Abwehrsystems unterdrücken) auf, wie Diarrhöen, Infektionen und Blutungen, worauf die Tiere eingeschläfert werden müssen.

Mitte der 1990er Jahre wurde die Option, ganze Tierorgane auf den Menschen zu übertragen, noch sehr optimistisch bewertet. So ging die Firma Novartis davon aus, dass bereits im Jahr 2000 einige Tausend solcher Übertragungen stattfinden werden und im Jahr 2010 rund 300 000. Inzwischen werden diese Daten von der Zeit eingeholt und die Prognosen sind verhaltener geworden.

Zur Einschätzung des wissenschaftlichen Nutzens derartiger Vorhaben ist also festzustellen, dass Xenotransplantationsversuche inzwischen seit Jahrzehnten stattfinden, ohne dass eine klinische Anwendbarkeit der Xenotransplantation nach wie vor nicht einmal annähernd in Aussicht steht. Zumal neben der Überwindung der Abstoßungsprobleme vor allem auch die Gewährleistung der physiologischen Funktionalität der artfremden Organe im Empfänger zunehmend skeptisch bewertet wird.

Angesichts der mangelhaften Realisierungsmöglichkeiten der Xenotransplantation und der Risiken für den Menschen durch diese Technik, hätten die Belastungen, die den verwendeten Versuchstieren Jahr für Jahr zugefügt werden, längst das Ausschlusskriterium für die Xenotransplantationsforschung sein müssen.

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     Die Redaktion Umwelt, am 14. August 2006 – ugii Homepages –