Umweltpanorama Heft 13 (August 2006) zur Liste | home

Braucht man die Agro-Gentechnik, um die Welt zu ernähren?

Obwohl nicht mehr ganz so vollmundig behauptet wird wie früher, man brauche die grüne Gentechnik, um die Welt mit hinreichenden Mengen an Nahrung zu versorgen, verbleibt das Spiel mit der Angst vor Verknappung von Nahrungsmitteln ein wesentlicher politischer Hebel zur Durchsetzung dieser umstrittenen Technik.

Das Unterfangen, die Gentechnik als die Lösung des Welternährungsproblems darzustellen, will nicht recht gelingen. Der Siegeszug der Technik ist mächtig ins Stocken geraten, weil die ökonomische Vorteilhaftigkeit weit hinter den Versprechungen zurückbleibt. Das liegt daran, dass die bisher auf dem Markt befindlichen Techniken von eingeschränktem Nutzen sind. Es handelt sich im Prinzip nur um zwei Erfindungen: die Herbizidtoleranz (Ht)und die eingebaute Schädlingsabwehr (von Fraß- und Sauginsekten) mit Hilfe des Bazillus Thuringensis (Bt). Beide Techniken führen zwar zu Einsparungen von Chemie und begünstigen die Landwirte. Als Einstiegsschleusen in eine vielversprechende neue Querschnittstechnologie haben sie sich aber als ungeeignet herausgestellt.

Diese beiden Techniken tragen nicht unbedingt zur Produktionssteigerung in der Landwirtschaft bei. Außerdem beschränkt sich ihre Anwendung bisher ausschließlich auf Futtermittel (Soja, Mais, Raps) und industrielle Rohstoffe (Baumwolle). Die Vorteile – sofern solche existieren – kommen der Welternährung nur sehr indirekt zugute: Über niedrige Ölsaaten- und Futtergetreidepreise werden auch die Preise von Brotgetreide gedämpft. Nicht erfolgte Steigerung bei den Futtermitteln führt zu einer Konkurrenz zwischen menschlichen Ernährungsansprüchen und der intensiven Veredelung für Tierprodukte. Es ist jedoch kein Beitrag zur Hungerbekämpfung, denn die Hungernden können sich gewiss keine tierischen Erzeugnisse leisten, die auf einer Soja-Getreide-Verfütterung basieren.

Die zweite Generation an Erfindungen lässt auf sich warten

Außerdem vermitteln diese Techniken der breiten Bevölkerung – den Verbrauchern – nicht den Eindruck, dass die Gentechnik ihnen zugute kommt. Deshalb bleibt die Öffentlichkeit skeptisch, wie Umfragen bei uns und selbst in den USA bestätigen. Das sollte sich ändern, so die Versprechen der Gentechindustrie, weshalb sie immer auf die zweite Generation der grünen Gentechnik verwies. Doch die zweite Generation bleibt aus. Wie eine Untersuchung beweist, geht die Zahl der Anmeldungen von Freilandversuchen zur Gentechnikanwendung im direkten Ernährungsbereich der Menschen sogar zurück und die neuen Sortenanmeldungen mit Bt- und Ht-Techniken beherrschen noch immer das Bild der kurz vor Marktreife stehenden Innovationen. In dem Fall, wo eine erste Anwendung im direkten menschlichen Ernährungsbereich zur Anwendung kommen sollte, nämlich beim Durum-Weizen (Hartweizen für die Pastaherstellung), wurde die Firma (Monsanto, USA) auf Grund der massiven Proteste der US- und kanadischen Bauern an dem Inverkehrbringen gehindert. Die Landwirte, sonst die größten Befürworter der Gentechnik in der Landwirtschaft, fürchteten um ihre Premiummärkte in Japan und Europa. Die Pastawirtschaft dieser besten Kunden von Hartweizen aus der nordamerikanischen Prärie drohten mit dem völligen Importstop, weil die Verbraucher dieser Länder – und damit auch die meisten Lebensmittelketten – Gentechnik in ihrer Nahrung noch zum größten Teil ablehnen. Monsanto verzichtete auf das Inverkehrbringen ihres Ht-Durumweizens mit der Begründung, vielleicht sei hier die Technik zu nah an dem Verbraucher dran.

Hungerbekämpfung oder Welternährung?

Sicherung der Welternährung und Hungerbekämpfung sind zweierlei. Während die globale Ernährungssicherung nur mit dem Problem befasst ist, dass das Angebot gleichschnell mit der Nachfrage wächst, geht es bei der Hungerbekämpfung darum, dem Teil der Weltbevölkerung, der die höchsten Ernährungsdefizite aufzuweisen hat, wenigstens soweit Zugang zu Nahrungsmitteln zu beschaffen, dass das physische Minimum erfüllt wird. Diese Unterscheidung ist bei der entwicklungspolitischen Gentechnikdebatte entscheidend.

Die Befürworter gehen davon aus, dass bei einer globalen Verknappung die daraus resultierende Preissteigerungen von Lebensmitteln die Armen zuerst und am meisten trifft. Deshalb muss das Nahrungsmittelangebot auf jeden Fall gleichschnell wachsen wie die Nachfrage, egal wo, von wem, was und wie die Nahrungsmittel produziert werden. Die Steigerung der Sojaerträge nordamerikanischer Präriebauern kann dann ebenso ein Beitrag zur Bekämpfung des Welthungers sein, wie eine grüne Reisrevolution in Indien oder Indonesien. Die neue Technik hilft auf jeden Fall.

Dass diese Zusammenhänge bestehen, bezweifeln die Skeptiker nicht. Sie wollen die Hungerbekämpfung aber direkt angehen, weil sie an den Durchsickerungseffekt und die Effizienz der Marktmechanismen nicht so sehr glauben. Sie fordern eine Steigerung der Produktion genau da, wo die zusätzlichen Nahrungsmittel am meisten gebraucht werden: Durch die verarmten Kleinbauern in den Entwicklungsländern selbst. Dann stellt sich die Frage nach der am besten dafür geeigneten Technik. Die Forschung und Entwicklung sollte sich darauf konzentrieren, den verarmten Bauern und ländlichen Erzeugern, wie Hirten, Fischer, Sammler, Jäger oder Landarbeiter, bei der Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse zu helfen. Diese Zielgruppe stellt mehr als 80 Prozent der Hungernden auf der Welt. Die Agro-Gentechnik zur Hungerbekämpfung muss dann nachweisen, ob sie geeignet ist, von diesen Menschen selbst angewandt werden zu können.

Gentechnik ist für Kleinbauern nicht

Ob die Gentechnik für Kleinbauern geeignet ist, wird viel zu sehr auf die betriebswirtschaftliche Frage reduziert, ob sie „beliebig teilbar ist“. Nur dann kann die Technik auch auf kleinsten Parzellen ihre vollen Ertragsvorteile entwickeln. Da die Agro-Gentechnik ihre Vorteile im Saatgut weitergibt, meinen die Befürworter, dass das der Fall sei, denn Saatgut lässt sich auf kleinsten Flächen genauso ausbringen wie in Großbetrieben.

Doch ist dieses Argument oberflächlich. Die Gentechnik kann vielen arbeitsintensiven Prozessen in der Landwirtschaft, die vielen Millionen Menschen auf dem Lande ein zwar bescheidenes Auskommen bescheren, den Garaus machen. Zum Beispiel tritt die Herbizidtoleranz mit dem Anspruch auf, endlich die Plackerei des Unkrautjätens abzuschaffen, die vor allem Frauenarbeit ist. Kann das überhaupt ein Ziel sein? Das Jäten ist eine willkommene gelegentliche Lohnarbeit primär für Frauen auf dem Lande. Oft ist es die einzige Chance monetäres Einkommen zu erwerben. Der Einsatz von chemischer Unkrautbekämpfung und erst Recht der von herbizidtoleranten Kulturpflanzen würde dieser Erwerbstätigkeit ein Ende setzen. Arbeit würde durch Kapital ersetzt, wobei die Rentabilität vom Herbizideinsatz im Vergleich zu den Lohnkosten des Jätens in Entwicklungsländern noch nicht ausgemacht ist. Im Zusammenhang mit begleitenden, anderen technischen Neuerungen wird auch billige Arbeit verdrängt, wie durch die Mechanisierung und die Betriebsausdehnung oder Schlagvergrößerung für Ht-Kulturen. Plötzlich hat die winzige Neuerung, ein Saatgut mit neuen Eigenschaften, sozial revolutionäre Sekundäreigenschaften. Niemals kommt eine Innovation für sich allein, sondern immer im Paket. Die Angepasstheit an bestimmte sozioökonomische Verhältnisse ist aber in Bezug auf das Gesamtpaket zu beurteilen.

Agrarkultureller Eingriff

An dem Beispiel lässt sich zeigen, wie sehr eine neue Technik auch immer eine kulturelle Intervention darstellt. „Unkraut“ in unseren durchrationalisierten Agrarsystemen wird als unerwünscht betrachtet, weil es die Erträge der Kulturpflanzen beeinträchtigt. In den meisten Agrarsystemen der Entwicklungsländer dagegen sind diese „Beikräuter“ zum Teil erwünscht, weil sie systematisch genutzt werden. Die unkrauthackenden Landarbeiter dürfen beispielsweise in Indien die gejäteten Beikräuter mit nach Hause nehmen. Viele von ihnen bereichern die einseitige Diät der Armen oder dienen als Futter für ihre Kleintierhaltung. Auf dem Markt könnten sich diese Armutsgruppen dieses Grünfutter nicht leisten. Herbizidtolerante Kulturpflanzen und die Herbizidanwendung würde die Armen von dieser ihrer Ernährungs- und Einkommensquelle abschneiden. Sie würden auch verhindern, dass die Armen an den Feldrändern oder auf den kleinen Bewässerungswällen im asiatischen Reisanbau Nutzpflanzen anbauen können. Zwischenfruchtanbau, Mischkulturpflanzungen, Untersaaten und Stufenanbau, alles wichtige Elemente einer traditionellen Agrarkultur, würden dem neuen Saatgut und seiner Chemie zum Opfer fallen. Schlimmer noch: Der Herbizideinsatz wird die Beikräuterzusammensetzung erheblich verändern. Vor allem die Blattkräuter verschwinden in der Unkrautpopulation, dafür kommen schwer zu bekämpfende Gräser hoch, die auch ernährungsphysiologisch nicht ergiebig sind. Der Landbesitzer mag von der neuen Technik profitieren, doch die Landarbeiter sind die Verlierer. Sie werden in die Entscheidungen nicht einbezogen.

Der kleinbauernfeindliche Aspekt der Bt-Technologie besteht in dem komplizierten System des Resistenzmanagements. Um die Resistenz der Schadinsekten gegen das Bt-Toxin nicht anwachsen zu lassen, verpflichten die Saatgutfirmen die Bauern dazu, einen bestimmten Teil des Landes mit nicht-Bt-Sorten zu bepflanzen. Das Vertrags-, Dokumentations- und Kontrollsystem, dass mit dem Resistenzmanagement einher geht, überfordert die meisten Kleinbauern in Entwicklungsländern organisatorisch und bildungsmäßig.

Alternativen sind vorhanden

Während der Aufbau der Infrastruktur für die Gentechnikforschung, ihre sichere Anwendung und die Regulierung eine Unmenge Geld und Fachwissen bindet, gehen diese Kapazitäten in den Entwicklungsländen den vielversprechenden anderen Ansätzen der landwirtschaftlichen Entwicklung verloren. Dabei gibt es genügend andere Entwicklungsrichtungen, die ein großes Potential der Ertragsverbesserung aufweisen und sehr viel kleinbauernfreundlicher sind. Das Ende der Fahnenstange der konventionellen Agrartechniken für die Produktivitätssteigerung ist noch lange nicht erreicht, wie die Gentechnikbefürworter gerne unterstellen. Ökologische Landbaumethoden, integrierte Landwirtschaft, verbesserte traditioneller Anbau, angepasstere Formen konventioneller Techniken und Gewebekulturtechniken bieten noch große Möglichkeiten auch unterhalb der Schwelle der Gentransfertechnologie. Während das Ertragssteigerungspotential der grünen Gentechnik noch weitgehend spekulativ verbleibt, gibt es viele kostengünstige und gut dokumentierte Ansätze im konventionellen Bereich, selbst für viele der sehr spezifischen Problemstellungen, derer sich die Gentransfertechnologie stellt.

Die zentrale Frage der Gentransfertechnik ist, ob und wie die inzwischen anerkannten Risiken ihres Einsatzes beherrschbar sind. Die Annahme, dass es sich im Prinzip um „ähnliche“ Pflanzen oder Nahrung handelt, deren Sicherheit keine grundsätzlich neuen Problem aufwirft, hat sich falsifiziert. Das Vorsorgeprinzip hat sich wegen der Risiken durchsetzt. Die nachgewiesenen unkontrollierbaren Auskreuzungen mit verwandten Kulturpflanzen und Wildkräutern, das plötzliche unerklärbare Ausbrechen von unerwünschten Eigenschaften der modifizierten Pflanzen, die unerforschten Auswirkungen der neuerstandenen Proteine auf den menschlichen Körper oder die Gesundheit der Nutztiere und die Nebenwirkungen der bei dem Gentransfer benutzten Promotoren und Enzymen hat dazu geführt. Das konnte trotz des angestrengten Versuchs der US-Regierung und der Gentechnikkonzerne auch auf internationaler Ebene passieren. Die internationale Konvention zur biologischen Sicherheit, das so genannte Cartagena-Protokoll, hat völkerrechtlich verbindlich festgelegt, dass jedes Land das Recht hat, vor der Zulassung von modifizierten Organismen in ihrer Landwirtschaft und Ernährung eingehende Sicherheitsprüfungen zu verlangen und eigene Sicherheitsstandards festzusetzen. Im Gegenzug zu diesem Rechtsgrundsatz schreibt die Konvention aber auch vor, dass jedes Land auf Antrag ein Prüfungs- und Zulassungsverfahren über die Sicherheit von gentechnisch veränderten Organismen, Nahrungs- und Futtermitteln einrichten muss, und zwar Fall für Fall.

Schluss

Gentechnik ist nur eine Technik. Hunger und ländliche Armut aber sind soziale Phänomene, für deren Lösung nur soziale und politische Strategien taugen. Jede Technik, die den Anspruch erhebt, ein Patentrezept gegen Hunger zu sein, macht sich lächerlich. Natürlich gibt es auch agronomische Probleme zu lösen und dabei spielt die landwirtschaftliche Ertragssteigerung eine große Rolle. Doch für jedes landwirtschaftliche Problem gibt es viele Lösungswege, die in ihrer gesellschaftlichen Effizienz und sozialen Kompetent miteinander konkurrieren. Die Agro-Gentechnik hat gerade wegen ihrer Abgerücktheit von den lokalen Lebensverhältnissen der ländlichen Armutsgruppen schlechte Karten. Dazu kommen noch die spezifischen Sicherheitsbedenken unter tropischen, bäuerlichen Betriebs- und Ökosystemen, die Kosten der Technik, Fragen der Kontrollierbarkeit und Abhängigkeit sowie die Risiken des Marktversagens.


Dr. Rudolf Buntzel
Beauftragter für Welternährungsfragen
Evangelischer Entwicklungsdienst
Berlin


Anmerkung

Der Originalbeitrag einschließlich der Literaturnachweise kann anderweitig nachgelesen werden: Umwelt-Medizin-Gesellschaft, Heft 2/2006


     Die Redaktion Umwelt, am 14. August 2006 – ugii Homepages –