Umweltpanorama Heft 10 (November 2005) zur Liste | home

Nachhaltigkeit und Lebenslust in Entwicklung

Wie berechtigt auch immer die Kritik an den Handlungen oder Organisationsformen der Vereinten Nationen (UN) sein mag – sie ist und bleibt das internationale Gremium der Völker. Hier wurde und wird kontinuierlich an der Bewältigung der Probleme und Krisen gearbeitet. Wegweisend war die UN-Umwelterklärung von Rio de Janeiro im Jahre 1992. Als sich in den folgenden Jahren gezeigt hat, dass die Nachhaltigkeitsstrategie nicht im Selbstlauf zu den Menschen gelangt, hat die UN die Jahre 2005 bis 2014 zur weltweiten Dekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ erklärt – jede Nation soll diese Dekade eigenverantwortlich gestalten.

Eine internationale Initiative

Die Probleme, die sich bei den fünf Ländern mit dem größten Wachstumspotential stellen, war kürzlich im Rahmen der internationalen Initiative „BRICS plus G“ erörtert worden. Brasilien, China, Indien, Russland und Südafrika waren eingeladen ihre Standpunkte und Strategien für Nachhaltigkeit vorzustellen und zu diskutieren. Besonders überraschend an diesen Berichten war, wie freimütig die Regierungsvertreter von den Problemen in ihren Ländern sprachen. Beispielsweise berichtete der Vertreter Brasiliens von neuen, aber bisher wenig akzeptierten Regeln, welche die uneingeschränkte Abholzung des Regenwaldes in seinem Land verhindern sollen. Die russische Vertreterin führte aus, dass ein neues Waldgesetz und ein Wasserschutzgesetz in diesem Jahr erlassen worden wären, die der nachhaltigen Entwicklung dienen sollen. Der chinesische Vertreter teilte mit, dass China das deutsche Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien übernommen und verabschiedet hat und sprach über die Schwierigkeiten, welche die Landflucht von etwa fünf Millionen Bauern auslöst. Letztlich war man sich darüber einig, dass der unvoreingenommene Austausch, über die nationalen Erfahrungen fortgesetzt werden soll.

Bundesdeutsche Programme

Nach dem Aufruf der UN zur Dekade „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ berief die Deutschen UNESCO ein Nationalkomitee unter Vorsitz von Prof. Dr. Gerhard de Haan, das die verschiedenen Aktivitäten der einzelnen Bildungsbereiche bündeln und koordinieren soll. Daran ist auch die Bund-Länder-Konferenz (BLK) beteiligt. Ihr Programm heißt „Transfer 21“. Damit soll versucht werden, die schulische Bildung an der Nachhaltigkeit orientieren. Ein von der BLK formuliertes zentrales Bildungsziel ist der Erwerb von Gestaltungskompetenz für die Zukunft. Dazu sollen bis zum Jahre 2008 zehn Prozent der Schulen eingebunden sein und dauerhafte Beratungs- und Unterstützungsstrukturen geschaffen werden. Letztere beinhalten die Fortbildung von Lehrern und anderer Multiplikatoren im Rahmen von Kooperationen mit Universitäten, Studienseminaren und Landesinstituten. Abgeschlossene Arbeiten, Projekte und Materialien sind bei der BLK ebenso zu finden wie Berater und Dozenten.

Bisher eher unbemerkt geblieben, aber ebenso erfolgreich, ist die Arbeit des Rates für nachhaltige Entwicklung. Dieser berät die Bundesregierung zu Fragen der Nachhaltigkeitspolitik und soll zur Fortentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie beitragen sowie Projekte zur Umsetzung dieser Strategie vorschlagen. Daneben soll der gesellschaftliche Dialog zur Nachhaltigkeit gefördert werden. Auf der 5. Jahrestagung des Rates, die im September 2005 mit dem Titel „Nachhaltigkeit – die Wachstumsformel vom Mehr zum Besseren“ in Berlin stattfand, waren sich die Vertreter aus den verschiedenen Gesellschaftsbereichen einig, dass sich die Erfolge der ersten fünf Jahre sehen lassen können. Es wurde eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie formuliert, Handlungsfelder benannt und Projekte vorgeschlagen. Um die Wirksamkeit der Nachhaltigkeit messbar zu machen sind 21 Ziele und Indikatoren festgelegt worden, die alle zwei Jahre überprüft werden. Der Bericht der Bundesregierung beinhaltete einen Beschluss des Bundeskabinetts mit dem Titel „Wegweiser Nachhaltigkeit 2005“. Darin sind alle Initiativen und deren Erfolge nachzulesen.

Lokale Projekte oder Szenarien des Glücks

Am Rande der oben genannten Tagung präsentierten sich lokale Projekte und Initiative wie die Kräutergarten Pommerland e. G. . Dahinter stehen Menschen, die sich in einer sterbenden Region niederließen. Sie haben unter anderem einen Biobetrieb gegründet, der nicht nur leckere Tees und Konfitüren herstellt und vertreibt, sondern auch altes Wissen um Pflanzen weitergibt. Menschen arbeiten dort im Einklang mit sich und der Natur. Diese Menschen zu treffen gab der Tagung eine erfreuliche Note. Obwohl von Jahr zu Jahr mehr Besucher zu dieser öffentlichen Veranstaltung kommen, wird sie von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dezentrale, parallel dazu laufende Veranstaltungen, besonders für Jugendliche, könnten der öffentlichen Wirksamkeit nützen.

In diesem Sinne war sicher die „Woche der Nachhaltigkeit in Berlin & Brandenburg“ gedacht. Es gab Veranstaltungen für jedes Alter und Interesse. Das Berliner Netzwerk für Nachhaltigkeit, das aus der „Studentischen Initiative für Nachhaltige Entwicklung“ hervorgegangen ist, veranstaltete hier zusammen mit dem Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Zum Glück Zeit!“. Das Podium war mit Peter Gäng (Buddhistischer Studienverlag), Ulrich Golüke (blue-way-net), Stefanie Raab (Lokale Agenda 21 Berlin, Zwischennutzungsagentur), Ulrike Schumacher (TU Berlin, Zentrum Technik und Gesellschaft) und Waltraud Höppner (fx - Institut) interessant besetzt.

Folgenden Denkansatz, der Teil der Präambel der Podiumsdiskussion war, möchte ich hier noch kurz vorstellen, da er die nachfolgende Diskussion wesentlich begleitete:

„Zeit wird in der Regel dann positiv bewertet, wenn sie effizient genutzt werden kann und materiellen beziehungsweise leistungsbezogenen Output bringt. Diese Entwicklungen scheinen immer weniger zu menschlichem Glück, zu erfüllter Zeitnutzung, geschweige denn zu Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit insgesamt beizutragen – eher im Gegenteil. Zugleich ist eine Art Verlust an utopischem Denken und Handeln feststellbar. Die Menschen beschleunigen ihren Trott, statt inne zu halten und andere Wege zu versuchen.“

Nachhaltige Entwicklung lernen

Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass nachhaltige Entwicklung als umfassende politische Strategie nicht zu den Schlussfolgerungen gehört, die in unserer Bevölkerung bisher gezogen werden. Eher ist der Wunsch nach Wohlstand weit verbreitet – Kenntnisse über Nachhaltigkeit nicht. Kein Schüler, keine Schülerin von mehreren Tausend, denen ich in meiner Arbeit in Berliner Schulen begegnet bin, konnte etwas mit dem Begriff „Nachhaltige Entwicklung“ anfangen. Das ist leicht erklärlich, da es den Lehrern und Lehrerinnen überwiegend eben so geht. Auch in den Medien ist Nachhaltigkeit ein seltenes Thema.

Die Dekade „Nachhaltige Entwicklung lernen“ ist meiner Ansicht nach nicht ausschließlich auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen anzuwenden. Sie ist auch ein geeigneter Rahmen um das Effizienzdogma im Leben jedes Einzelnen, wie in der Gesellschaft, zu überwinden. Das lässt sich zweifelsohne erreichen – schließlich verfügen wir über unendliche ungenutzte Ressourcen – Intelligenz und Lebenslust.


Christine Schmidt
freie Autorin, Berlin


     Die Redaktion Umwelt, am 14. November 2005 – ugii Homepages –