Umweltpanorama Heft 5 (August 2004) zur Liste | home

Ganz Ohr und mit weniger Lärm lernt sich's leichter

Lärm ist gesundheitsschädlich – das wissen wir spätestens, seit wissenschaftliche Studien dies in den 80er Jahren am Beispiel von Straßenverkehrslärm oder Lärm am Arbeitsplatz nachgewiesen haben. Schallschutzmaßnahmen in Wohngegenden und im Betrieb waren die Folge. Die Erkenntnis, dass Lärm Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen einschränkt, führte dazu, dass für Arbeitsplätze mit vorwiegend geistigen Tätigkeiten in der Arbeitsstättenverordnung ein Grenzwert von 55 Dezibel(A) vorgeschrieben wird. Während also für Wohngegenden und Arbeitsplätze Grenzwerte für zumutbare Lärmbelastungen ausgewiesen wurden, gibt es für Schulen bislang keine raumakustischen Vorschriften. Und dies, obwohl Messungen zeigen, dass die Lärmbelastung in Schulen oftmals weit über dem Wert von 55 Dezibel(A) liegt. Forschungsstudien haben experimentell nachgewiesen, dass Kinder, die unter Lärmbelastung lernen sollen, in ihren kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt sind und häufiger unter Aufmerksamkeitsstörungen und Sprachverständnisproblemen leiden als nicht lärmbelastete Kinder 1). Auch für die Lehrkräfte stellt der Lärm einen wesentlichen Faktor der Arbeitsbelastung dar, wie eine Untersuchung der „Beruflichen Belastung von Lehrerinnen und Lehrern“ in Bremen und Nordrhein-Westfalen ergab 2).

Das Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik der Ludwig-Maximilians-Universität München erforschte im Projekt GanzOhrSein erstmals die Lärmbelastung von Schulkindern im Unterrichtsalltag und deren Auswirkungen auf das Lern- und Sozialklima. Im Mittelpunkt dieses Modellversuchs stand die Entwicklung und Erprobung von Konzepten der Zuhörförderung, mit dem Ziel, die oftmals ungünstige Hör- und Zuhörsituation in Schulklassen nachhaltig zu verbessern. An der zweijährigen Feldphase waren insgesamt zehn Grundschulen, zwei Hauptschulen und zwei Gymnasien mit 14 Lehrkräften und rund 450 Schülerinnen und Schülern von der 1. bis zur 9. Klassenstufe beteiligt. In Zusammenarbeit mit Erzählern, Musikern, Komponisten und anderen Künstlern wurden Unterrichtsprojekte zu den Schwerpunkten Sprache und Sprechen, Musik, Kunst, Theater, Radio und Raumgestaltung angeboten. Außerdem wurden mit Unterstützung der Stiftung Zuhören 14 Hörclubs an Grundschulen eingerichtet.

Nun liegen erste Forschungsergebnisse zur Problemlage sowie zu den Möglichkeiten einer gezielten Verbesserung der Hör- und Zuhörbedingungen vor. Sie zeigen, dass die Qualität der Lern- und Arbeitsatmosphäre im Klassenzimmer entscheidend von vier Faktoren abhängt und zwar

  • von den raumakustischen Rahmenbedingungen,
  • von der Schaffung eines zuhörförderlichen Lernklimas durch die Lehrkraft,
  • vom Lärm- bzw. vom Hör- und Zuhörverhalten der Schülerinnen und Schüler und
  • vom sozialen Klima in der Schulklasse.

Diese vier Faktoren beeinflussen und verstärken sich wechselseitig, sei es im Positiven oder im Negativen.

Leiser lernen

In zwei Schulklassen wurden die raumakustischen Bedingungen unter dem Motto „Wir beruhigen unser Klassenzimmer“ von den Schülerinnen und Schülern selbst verbessert. Zunächst ging es hierbei um eine Identifizierung störender Geräuschquellen wie Türen, Stühle, Tische. Mit Hilfe von Molton, Filz, Schaumgummi und Stoffen wurden die Störquellen beseitigt bzw. schallgedämmt. Darüber hinaus installierten die Schülerinnen und Schüler Klangobjekte zur klangästhetischen Gestaltung des Klassenraums. Die Klassenlehrerinnen konnten in beiden Klassen wesentliche Verbesserungen des Lärmverhaltens der Schülerinnen und Schüler beobachten: Die Sensibilisierung für das Thema und die Beseitigung der gravierendsten Störquellen führten ihrer Einschätzung nach zu einer deutlichen Beruhigung des Lärmpegels im Unterricht.

5teKlasse

  „Wir beruhigen unser Klassenzimmer“ (5. Klasse Hauptschule). Foto: Sandra Schrade


Im Rahmen einer prospektiven Längsschnittstudie in Kooperation mit dem Institut zur Erforschung von Mensch-Umwelt-Beziehungen der Universität Oldenburg wurden in sechs Grundschulklassenräumen mit durchschnittlichen akustischen Merkmalen (gemessene Nachhallzeiten von 0,86 - 1,11 Sekunden) durch den Einbau von Akustikdecken und der Installation von einem Soundfield-System 3) die Hör- und Zuhörbedingungen im Unterricht verbessert. Sowohl kurz nach der raumakustischen Intervention als auch drei Monate danach ließ sich eine signifikante Verbesserung des Lärmverhaltens und der Aufmerksamkeit der Schüler sowie der Sprachverständlichkeit feststellen sowie eine signifikante Reduzierung der Höranstrengung. Bei Klassen mit Akustikdecken machte sich insbesondere der Rückgang des Hintergrundgeräuschpegels, der Nachhallzeiten und des allgemeinen Lärmpegels positiv bemerkbar, beim Soundfield-System vor allem die bessere Verteilung der Sprachverständlichkeit im Raum. Die Lehrerinnen stellten darüber hinaus eine erheblich geringere Belastung ihrer Stimme fest.

„Es ist viel leiser geworden in der Klasse durch die Akustikdecke und das Soundfield-System! Das schaukelt sich ja hoch: Wenn die Hintergrundgeräusche laut sind verstehen sie nicht gut, werden unaufmerksam, können sich nicht mehr konzentrieren, verlieren den Faden und fangen dann an zu ratschen oder dazwischen zu schreien. Ich denke schon, dass ich mich bemühe, Disziplin in der Klasse walten zu lassen und mich durchzusetzen. Und ich will auch einen ruhigen Unterricht und eine ruhige Arbeitsatmosphäre. Aber das funktioniert nicht, wenn das Klassenzimmer eine schlechte Akustik hat! Und das ist mir jetzt erst so richtig bewusst geworden.“ (Grundschullehrerin 3. Klassenstufe)

Auch für die Schüler machte sich die Verbesserung der raumakustischen Zuhörbedingungen positiv bemerkbar. So beklagte sich ein Hauptschüler (5. Klassenstufe), in dessen Klassenraum im zweiten Projektjahr dann ebenfalls ein Soundfield-System eingebaut wurde, am Ende des 1. Projektjahres noch:

„Ich sitze ganz hinten. Manchmal liest die Lehrerin ein Nachschriftdiktat und ich kann nicht gut hören, was sie gesagt hat. Und dann lasse ich viele Lücken und komme nicht mit und werde wütend.“

Ende der 6. Klasse, nachdem auch in diesem Klassenzimmer ein Soundfield-System installiert worden war, meinte er:

„Jetzt ist es viel besser für die Kinder, die hinten sitzen und die Lehrerin muss nicht immer so laut sprechen.“

Weitere Aspekte

Die Gestaltung der Zuhörsituation durch die Lehrkraft spielt für das Lern- und Lärmklima einer Klasse eine wesentliche Rolle. In zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen konnten die Lehrerinnen ihre diesbezüglichen Kompetenzen erweitern; unter anderem durch eine größere Sensibilisierung für die akustische Umwelt oder durch den bewussteren Umgang mit der eigenen Stimme.

Nicht nur die Lehrerinnen bemerkten in den Interviews einen Zugewinn an zuhörförderlichen Unterrichtsmethoden, auch die Schülerinnen und Schüler verzeichneten in der schriftlichen Befragung positive Veränderungen im zuhörrelevanten Lehrerverhalten.

Doch auch das Zuhörverhalten der Kinder kann in der Schule gezielt gefördert werden, wie die Ergebnisse der Studie zeigen. Zwar wird das Zuhören-Können zumeist als „Bringschuld“ betrachtet, gleichzeitig häufen sich aber die Klagen, dass die Schülerinnen und Schüler heutzutage immer schlechter zuhören 4). Ausgangspunkt der Bemühungen zur Zuhörförderung in den verschiedenen Projektbausteinen stellte stets das „Ohren öffnen“ dar, die Sensibilisierung der Kinder für die akustische Umwelt, sei es über Stillehören und Hörspaziergänge mit verbundenen Augen, über Klangrätsel, ungewohnte Hörerlebnisse oder über das Lauschen des Nachklangs einer Klangschale. Die differenzierte Wahrnehmung der akustischen Umwelt lässt sich auch über den Umweg der Technik erschließen, wie dies bei Radio- oder Hörspielarbeit mit Kindern der Fall ist. Hier können störende Nebengeräusche, schlampige Sprechweise oder achtloses „Dazwischenquatschen“ eine ganze Aufnahme verderben. Diese Erfahrung bringt die Kinder wie von selbst dazu „akustisch zu denken“.

Weitere Punkte des Projekts GanzOhrSein betrafen individuelle Hörerfahrungen, dass beispielsweise Höreindrücke subjektiv wahrgenommen und unterschiedlich empfunden werden, oder die Bedeutung des Sozialklimas für die Zuhörbedingungen im Unterricht.

Die Ergebnisse der Evaluation belegen, dass bei Schülern, die an dem Projekt teilnahmen, im Vergleich zu denen, die nicht teilnahmen, nach zwei Jahren eine Sensibilisierung für das Hören, auch im Alltag, stattgefunden hat. Durch eine gezielte Förderung des Hörens und Zuhörens im Unterricht unter Berücksichtigung der raumakustischen Rahmenbedingungen, verbunden mit Lehrerfortbildungsmaßnahmen und geeigneten Projekten, kann also eine deutliche und nachhaltige Verbesserung des Lern- und Sozialklimas in den Schulklassen erreicht werden. Zuhörförderliche Projekte lassen sich in nahezu alle Unterrichtsfächer integrieren und für jede Klassenstufe altersgemäß gestalten. Gerade in Zeiten, in denen Persönlichkeitsbildung, soziale Kompetenzen und fachliche Qualifikationen gleichermaßen eine Rolle für die schulische und berufliche Entwicklung spielen, sind Konzepte wie das von GanzOhrSein gefragt, die alle diese Bereiche ansprechen.

 

Christiane Hemmer-Schanze,
Prof. Dr. Joachim Kahlert,
Dr. Mechthild Hagen,
Ludowika Huber


Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik
Ludwig-Maximilians-Universität München


Anmerkungen

Ausführliche Informationen zum Ansatz des Projekts GanzOhrSein, zu den Bausteinen und zur Evaluation finden Sie unter http://www.ganzohrsein.de/

1) Maria Klatte, Markus Meis, August Schick: Lärm in Schulen – Auswirkungen auf kognitive Leistungen von Kindern, in: Ludowika Huber, Joachim Kahlert, Maria Klatte (Hrsg.), Die akustisch gestaltete Schule. Auf der Suche nach dem guten Ton, Göttingen 2002, S. 19-42

2) Gerhart Tiesler, Lärm in Schulen – Subjektive Empfindung oder Realität?, ebenda, S. 61-73

3) Dabei werden im Klassenzimmer mehrere Lautsprecher so verteilt, dass die über ein kleines Mikrophon abgenommene Lehrerstimme an jedem Sitzplatz gleich gut zu hören ist.

4) Joachim Kahlert: Der gute Ton in der Schule. Überlegungen zum pädagogischen Stellenwert des Zuhörens in der akustisch gestalteten Schule, in: Ludowika Huber, Eva Odersky (Hrsg.), Zuhören – Lernen – Verstehen. Braunschweig 2000, S. 9f


     Die Redaktion Umwelt, am 16. August 2004 – ugii Homepages –