Umweltpanorama Heft 1 (September 2003) | zur Liste | home | ||||||
Optimierungsversuche am Menschen Genetik braucht Genethik |
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War Umweltschutz von seiner Entstehungsgeschichte her weitgehend auf den Schutz der Umwelt und des Menschen vor den unbeabsichtigten, direktem und indirektem Schadstoffausstoß industrieller Prozesse gerichtet, ist nun eine Auseinandersetzung mit den möglichen und beabsichtigten Einwirkungen der Life Science Disziplinen auf Mensch und Umwelt vonnöten. Umweltschutz hatte immer schon einen starken ethisch-moralischen Kern. Jetzt hat Bundeskanzler Schröder bei uns die Bio- und Gentechnik zur Chefsache erklärt und einen Nationalen Ethikrat eingesetzt. Die nach den Gremien beim Gesundheitsministerium und der Enquete-Kommission des Bundestages nunmehr dritte beratende Institution. Bei soviel Beratungsbedarf scheint die Mutation des Menschseins nicht fern. Jede Technologie hat ihre dual - use Potentiale. Doch wer heute von Gentechnik redet sollte sich auch über die Verschränkung der unterschiedlichen Technologien und deren Wechselwirkung bewusst werden. Es gibt eine zunehmende Beschleunigung, ein exponentielles Wachstum in den verschiedenen Bereichen der Kommunikation, der Elektronik, der Genetik und Biotechnologie, der Neurotechnologie, oder der molekularen Nanotechnologie (siehe Kasten). Kaum jemand wird behaupten den Überblick bezüglich der Entwicklungen der letzten Jahre behalten zu haben bzw., einen ethisch-moralischen Kompass justieren zu können. Auf dem medizinischen Sektor gehören Patientenorganisationen oder Selbsthilfegruppen häufig zu den Schrittmachern bei gentechnologischen Forschungsprojekten. So erscheint es nur natürlich, dass Eltern Behinderungen ihrer Kinder wie zum Beispiel Down-Syndrom, Bluterkrankheit oder Mukoviszidose möglichst schon vor der Befruchtung ausschließen wollen und so taucht zunehmend die Frage auf, wie man in ethischer Hinsicht mit der Möglichkeit umgeht, sein Wunschembryo aufgrund bestimmter genetischer Eigenschaften aussuchen zu können.
Zwar ist die Präimplantationsdiagnostik nach dem Embryonenschutzgesetz gesetzlich eingeschränkt, doch wird dies bereits durch die neuere Technik der Polkörperdiagnose unterlaufen. Dieser Test erfolgt extrem früh an einer Eizelle, in die erst vor kurzem ein Spermium eingedrungen ist. Das Erbgut von Mutter und Vater hat sich noch nicht vereinigt, deshalb genießt diese besamte Eizelle auch noch nicht den juristisch und ethisch strengeren Schutz eines Embryos. Die Präimplantationsdiagnostik läuft definitiv auf eine Auslese hinaus. Würde sie massiv angewandt, wäre das als Züchtungsprogramm zu bezeichnen. Man wählt aus, was erwünscht ist und was nicht. Philosophisch bleibt das zwar vorerst in dem alten Züchteransatz haften: Die Natur soll erst einmal arbeiten, und der Mensch wählt dann aus. Doch was sollte den Menschen davon abhalten, bei vorhandenem Technikpotential aktiv gestalten einzugreifen. Der Körper wird damit immer weniger als Schicksal begriffen. Er lässt sich formen, verändern, verbessern. Der Mensch wird zur Baustelle. Der perfekte Körper wird zur Frage des technologisch möglichen. Wieso sollten nicht ästhetisch, gesundheitlich und auch die Intelligenz betreffende Optimierungen durchgeführt werden. Jedoch auch z.B. Homosexuelle, Gehörlose, Liliputaner, die sich als gesellschaftliche Gruppe definieren, Kinder ihresgleichen bekommen können, oder auch Paare, bei denen ein Partner helle und der andere eine dunkle Hautfarbe besitzt, wollen möglicherweise ein weißes oder dunkelhäutiges Kind. Hiergegen hat das schnipseln an Problemzonen lediglich kosmetische Dimensionen und wird in der Selbstwahrnehmung einfach zur nachhaltigen Kosmetik. Die steigende Anzahl, spricht trotzdem für den Wandel der allgemeinen Selbstwahrnehmung. Das Individuum trifft seine Entscheidung für sich. Design dich selbst als Menschenrecht. Die Verwertungstendenzen des Marktes scheinen auch eher für einen Ausbau der Prothetik zu sprechen, deren Wahrnehmung dem Einzelnen eher als Werkzeugkasten begegnet. Von der Spielesteuerung per Joystick zum sensorverkabelten Gehirn in Cyberwelten, alles eine Frage der richtigen Schnittstelle. Wir werden uns immer mehr an unser Dasein als hybride Mensch-Maschine-Systeme gewöhnen. Die Frage, welche Komponente Mensch oder Maschine aktuell für ein nötig befundenes Upgrade ansteht wird somit immer mehr aus der Perspektive des hybriden Systems gesehen. Mithilfe von Neurotransmittern kann man schon heute chemische Vorgänge im Gehirn steuern, Verhalten kontrollieren, Wohlbefinden erhöhen, Gefühle verändern, Aggressivität dämpfen, Intelligenz verbessern, Erinnerungsfähigkeit stärken, Sexualität potenzieren und die Lebenserwartung verlängern. Schon vor sieben Jahren wurden in den Vereinigten Staaten mehr als zwölf Prozent aller Kleinkinder mit Anregungsmitteln behandelt, hauptsächlich mit Ritalin, einem Stimulans für das zentrale Nervensystem. Die Fortschritte in der Gentechnik haben auch den militärischen Wert von B-Waffen gesteigert und einen Wettlauf nach solchen Waffen ausgelöst. Dabei muss nicht einmal die völlige Neuentwicklung im Zentrum stehen, auch die Modifizierung bekannter Krankheitserreger führt bereits zu erschreckenden Erfolgen. Das Gen des als Glückshormons bekannten Endorphins wurde kurzerhand in den Erreger der Hasenpest eingepflanzt. Beim Einsatz würden infizierte Personen nicht die üblichen Symptome der Hasenpest zeigen, sondern starke Verhaltensänderungen aufweisen. Weder das Immunsystem, noch Labortests erkennen den maskierten Erreger. Der Einsatz von Biowaffen wird jedoch ganz anders beginnen, beispielsweise als Kampf gegen den Anbau von Pflanzen, die zur Gewinnung von Rauschmitteln dienen. Hier sammeln die USA gerade Erfahrungen gegen die kolumbianische Drogenmafia. Anders als bei einem etwaigen Versuch, Menschen mit Krankheitserregern zu infizieren, ist dies bei Tieren und Pflanzen in der Landwirtschaft wesentlich einfacher und für die Täter auch ungefährlicher. Das Gentechnik in der Landwirtschaft bereits Gegenwart ist beweist auch eine Untersuchung der Stiftung Warentest vom August 2000. In 31 von insgesamt 82 untersuchten Lebensmitteln fanden die Kontrolleure gentechnisch veränderte Zutaten. Kein einziges dieser Produkte, von denen einige auch aus Bioläden stammten, war entsprechend gekennzeichnet. Außerdem wurden Tausende von Pflanzensorten seit den 60er Jahren durch Mutationstechniken, also durch radioaktive Bestrahlung, gezüchtet. Wenn auf nur 10 Prozent der europäischen Felder gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut würden, wäre es künftig unmöglich, auf den restlichen Flächen gentechnikfreie Erzeugnisse zu ernten. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie, die im Auftrag der Europäischen Union durchgeführt wurde. Fazit Der Mensch ist zum ersten Mal in seiner Geschichte in der Lage, seine genetischen Blaupausen zielgerichtet zu verändern. Er überlässt es hierbei nicht mehr der Natur, durch Mutationen einen Wandel herbeizuführen, sondern er versucht durch Veränderung der Codierungen Fehler zu beheben. Damit findet eine neuartige Synthese zwischen der menschlichen Selbstreproduktion durch Sex und maschinellen Algorithmen statt. Da der Mensch über Jahrmillionen nicht in die Genetik eingreifen konnte, verlief die evolutionäre Entwicklung relativ langsam. Durch die Gentechnologie, die die Veränderung der Codes erlaubt, kann sich das Evolutionstempo dramatisch beschleunigen, es kann sich eine Art Echtzeit-Evolution herausbilden, die implizite Strukturvarianten augenblicklich entfaltet. Durch neuartige Computer wird die Gentechnologie operationalisierbar und ist damit für das Management von besonderem Interesse. Die Gentechnik stellt die Entwicklung des Menschen ins Zentrum einer virtuellen Umcodierung und Erprobung neuer Codierungen, die unmittelbar in der physischen Welt zum Einsatz kommen. Bis dahin sollten wir die zwei Grundsätze aller Langzeitprognosen beherzigen:
So wird es bis auf weiteres auch dabei bleiben: Wissen kommt von Erfahrung, Wirklichkeit von den Sinnen. Hans Hassler |
Die Redaktion Umwelt, am 15. September 2003 | ugii Homepages |