Umweltpanorama Heft 1 (September 2003) zur Liste | home

Kleiner Schmetterling mit großer Wirkung

Ein Kleinschmetterling breitet sich aus in Europa – die Rosskastanien-Miniermotte. Der Falter hat weit über Fachkreise hinaus Popularität erreicht. Von unbekannter Herkunft – sogar eine Verschleppung mittels Waffenlieferung von China nach Jugoslawien wird vermutet – erregt er in Bayern und Berlin als „Biergartenmotte“ Aufmerksamkeit und löst alljährlich bei zuständigen Behörden Bekämpfungsaktionen aus.

Beschreibung und Lebensweise

Im Jahre 1984 trat ein bis dahin unbekannter Kleinschmetterling massenhaft an Weißblühenden Rosskastanien am Ohridsee in Mazedonien auf, der als Cameraria ohridella beschrieben wurde 1).

Die Körperlänge des Falters beträgt 5 Millimeter, die Vorderflügel sind 3,5 Millimeter lang. Die rostbraun- bis ockerfarbenen, schwarz-weiß gestreiften Flügel werden dachförmig zusammengelegt getragen. Im warmen Frühjahr können die Falter bereits Ende April fliegen. Die Flugzeit der ersten Generation fällt mit der Hauptblüte der Weißen Rosskastanie zusammen und kann drei bis vier Wochen dauern. In einem Jahr gibt es mindestens zwei bis drei, unter klimatisch günstigen Bedingungen bis zu fünf Faltergenerationen.

Abb. Miniermotte

Miniermotte und Larve (Foto Ralf Salecker)

Die weißen Eier werden einzeln auf die Blattoberseiten abgelegt. Ein Weibchen legt bis zu 40 Eier. In der ersten Generation werden vorrangig die Blätter der Unterkrone befallen, erst die Folgegeneration im Sommer erfasst die Wipfelregion. Nach zwei bis drei Wochen schlüpfen die flachen Larven und bohren sich ins Blattgewebe wo sie bis zum dritten Entwicklungsstadium weiter minieren. Die Kanäle im Blattgewebe (Minen) sind hell durchscheinend und werden von der Larve des 2. und 3. Entwicklungsstadiums kreisförmig erweitert. Die gelblichen Altlarven fressen das Gewebe zwischen den Nerven an den Blattoberflächen aus, so dass 3 bis 4 Zentimeter lange, ockerfarbene Platzminen entstehen, die bei Massenbefall zusammenfließen können.

Nach drei bis vier Wochen verpuppen sich die Raupen in einem linsenförmigen Kokon. Er ist in der Mine im Durchlicht erkennbar und mit Daumen und Fingern zu fühlen. Die Puppen der Frühjahrs- und Sommergeneration ruhen etwa drei Wochen. Nach dem Schlüpfen der Falter bleiben die leeren Puppenhüllen meist zur Hälfte in der Mine stecken.

Die Populationsdichte nimmt im Laufe der Generationsfolge im Jahr explosionsartig zu. Nasskaltes Wetter verzögert, trockenwarmes Wetter, so wie es uns der Sommer in diesem Jahr bescherte, beschleunigt die Entwicklung. Die Puppen der Herbstgeneration fallen mit den Blättern ab und überwintern im Falllaub. Durch Verrotten des Laubes werden die Kokons freigesetzt. Die Puppen können mehrere Jahre überleben. In Wärmeinseln der Städte können auch Falter überwintern.

Langfristige Beobachtungen der Auswirkung starken Befalls stehen noch aus. Durch den Chlorophyllverlust infolge der minierten Blätter wird deren Assimilationsleistung vermindert. Die Folgen sind: Neigung der Bäume zum erneuten Austrieb und zur Blüte im Herbst. Damit verbunden sind mangelnde Ausreifung des Holzes, erhöhte Anfälligkeit gegenüber Pilzbefall und Frost sowie verminderte Triebleistung im Folgejahr.

Verbreitung

Schon im Jahre 1989 wurden in St. Florian bei Linz vereinzelte Minen entdeckt. 1990/91 kam es dort zu einer Massenvermehrung und 1992 war bereits 100 Kilometer weiter östlich ein starker Befall festzustellen. Seither hat sich der Kleinschmetterling über fast ganz Österreich und alle Nachbarländer ausgebreitet. Innerhalb von nur zehn Jahren hat er auch England und Skandinavien erreicht. In Berlin mit seinen über 60 000 Kastanien ist die Miniermotte seit 1998 überall anzutreffen. Bäume, unter denen das Herbstlaub nicht entfernt wird, sind stärker befallen als solche, die beispielsweise auf versiegeltem Boden stehen. Hier wird das Herbstlaub entweder entfernt oder durch den Wind verweht. Auf diese Weise können sich lokale Befallsunterschiede ergeben.

Die natürliche Ausbreitungsgeschwindigkeit wird offenbar durch menschliche Mobilität gefördert. Ein Erstbefall an Parkplätzen und entlang der Straßen weist darauf hin. Es scheint sicher, dass Cameraria ohridella in das österreichische Alpenvorland durch Ferntransporte aus Südeuropa eingeschleppt wurde.

Ihre späte Entdeckung lässt Zweifel aufkommen, dass die Art schon immer im natürlichen Verbreitungsgebiet der Weißen Rosskastanie auf dem Balkan bodenständig war. Es wird vermutet, dass sie aus Asien oder Nordamerika stammt. Allerdings ist nach Untersuchungen am US-National Museum of Natural History in Washington Cameraria ohridella von allen derzeit bekannten amerikanischen Camerariarten deutlich verschieden. Somit muss Cameraria ohridella derzeit als eine südosteuropäische Reliktart der Gattung Cameraria angesehen werden.

Gegenspieler

Meisen jagen die Falter und picken die Larven oder Puppen aus den Minen, Schlupfwespen legen ihre Eier in die Larven und Laufkäfer sowie Kurzflügler fressen die Puppen. Die Aktivität der natürlichen Antagonisten reicht jedoch für ein biologisches Gleichgewicht nicht aus. Versuche zur gezielten Züchtung von Parasiten und Laborexperimente in Pflanzenschutzeinrichtungen sind im Gange.

Die männlichen Miniermotten können erfolgreich in Fallen mit Pheromonen (Sexuallockstoffen) gefangen werden. Chemische Bekämpfungsmittel (Insektizide) sind aufwändig und mit schädlichen Nebenwirkungen verbunden. Daher werden sie nur ausnahmsweise angewendet. Wichtig ist es, das Falllaub mit den Puppen aus dem Bereich der Kastanien zu entfernen und sachgerecht zu kompostieren.

Der Schutz der Bäume vor zusätzlichen, ihre Vitalität beeinträchtigende Faktoren wirkt den Schäden durch die Kastanienminiermotte entgegen.

Gunter Martin

Umweltladen
Berlin-Mitte


1) G. Deschka, N. Dimic, Cameraria ohridella n. sp. aus Mazedonien, Jugoslawien (Lepidoptera, Lithocelletidae), Acta Ent. Jugosl. 22 (1986) 11-23

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     Die Redaktion Umwelt, am 15. September 2003 – ugii Homepages –